Resilienzförderung in der Praxis | Reihe trauma-informed arbeiten

Teil 2: Trauma-Kategorien

Die Fähigkeit zur Selbstregulation und Selbstfürsorge kommt bei jenen Menschen an die Grenzen, die in ihren frühen Lebensjahren ein Entwicklungstrauma, schwere uneindeutige Verluste oder ein Schocktrauma erlebt haben.

In diesem zweiten Teil unserer Reihe „Trauma-informed arbeiten“ gebe ich Dir eine kurze Einführung in die wichtigsten Trauma-Kategorien und zeige deren Beutung für die Resilienzförderung auf.

Teil 2: Die wichtigsten Trauma-Kategorien

| Ein Beitrag von Ella Gabriele Amann

Trauma-Kategorien

In der modernen Psychotraumatologie wurden Klassifizierungen von Trauma-Kategorien vorgenommen, die Dir dabei helfen können, die Situation von Klienten und damit auch der Bedarf an therapeutischen Unterstützungsleistungen besser einzuschätzen.

Nachfolgend stelle ich Dir die wichtigsten Kategorien vor: Das Schocktrauma, die Sekundäre Traumatisierung, die Kollektive Traumatisierung sowie das Entwicklungs- und Bindungstrauma.

Schocktrauma

Ein Trauma, das schlagartig, mit Macht oder Wucht eintritt. Die Reaktion des Nervensystems auf das Ereignis hängt von der individuellen Verletzbarkeit, der Art und Schwere des Geschehens, von den Bewältigungsstrategien des Betroffenen und der angebotenen Hilfestellung und Co-Regulation ab. Dabei hinterlassen von Menschen verursachte Traumata schwere Folgen, wie nachhaltigen Vertrauensverlust (in sich und andere) und Bindungsstörungen. (Hintinger, 2021)

Beispiele für Schock-Trauma-Ursachen:

  • Naturkatastrophen
  • Terroranschläge
  • Notfalloperationen, Verkehrs-, Arbeits- oder sonstige Unfälle. 
  • Verlust eines nahestehenden Menschen oder Haustieres
  • kleinere und größere Überfälle, Verkehrsunfälle
  • versuchte oder ausgeübte sexuelle Übergriffe
  • Einbrüche
  • lebensbedrohliche Erkrankungen
  • Mobbing in Beruf, Schule oder am Arbeitsplatz
  • Ausübung eines Helfenden Berufs, wie Polizisten, Soldaten, Sanitäter, Pflegekräfte, Ärzte, Therapeuten, Lehrer, Taxifahrer, Verkäufer und andere Berufe, die mit überwältigenden Ereignissen im Tagesgeschäft konfrontiert werden.

In der Praxis helfen, neben den klassischen traumatherapeutische Verfahren, folgende Therapieansätze: 

  • EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), bei Menschen, die erst im Erwachsenenalter traumatische Erfahrungen gemacht haben, die auch der Erinnerung gut zugänglich sind das einzige Verfahren welches derzeit von Krankenkassen bezahlt wird
  • Tapping (EFT, MET, TFT), therapeutische Schulen, die das Klopfen als therapeutisches Mittel einsetzen. Zu den bekanntesten gehören z.B. die PEP-Technik von Dr. Michael Bohne (Prozess- und embodiment-fokussierte Psychologie).

 

Sekundäre Traumatisierung

Als Sekundäre Traumatisierung bezeichnet man das Auftreten typischer posttraumatischer Symptome bei Menschen, die nur indirekt mit dem traumatischen Ereignis konfrontiert wurden, z.B. durch die Beschreibungen ihrer KlientInnen.

Sekundäre Traumatisierung bezeichnen Co- oder auch indirekte Traumatisierungen, bei der das primäre Trauma nicht die Person selbst betrifft, diese aber als Zeuge, Angehöriger, als betreuuende oder helfende Person involviert ist, wodurch es zur Überwältigung des eigenen Nervensystems kommt. Betroffen sind z.B. Polizisten, Sanitäter, Feuerwehrleuten und pflegende Berufe.

Eine große betroffene Gruppen bilden helfende Berufe (Körper- und Traumatherapeut:innen, Ärzte, Seelsorger:innen Trauerbegleiter:innen, Coaches Fitnesstrainer:innen, wie auch nichtmedizinisch Tätige, wie Angestellte bei Kostenträgern, Kosmetiker: innen und auch Friseure.

Zu deren Arbeit gehört es vertrauensvolle Gespräche zu führen. Denn für die Entwicklung von posttraumatischen Symptomen im Sinne einer akuten Belastungsreaktion oder -störung, kann es schon ausreichen, traumatische Inhalte zählt zu bekommen. (Hintinger, 2021)

Die sekundäre Traumatisierung ist mit der Corona-Krise wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. 
Eine aktuelle Masterarbeit von Ines Saskia Rathgeber beschäftigt sich mit Sekundärer Traumatisierung von Gesundheitspersonal im Krankenhaus zu Zeiten der Covid-19-Pandemie.

Die Stichprobe zeigt sich erheblich belastet. Bei 60% der Befragten konnten Hinweise auf eine voll ausgeprägte PTBS gefunden werden. Bei weiteren 12% solche für eine subsyndromale Form. Eine hohe Belastung in Bezug auf traumaspezifische Symptome geht mit negativeren Grundannahmen über die Welt einher.

Ein stark ausgeprägter Kohärenzsinn stellt sich erwartungsgetreu als protektiver Faktor dar. Die Emotionen Scham und Schuld sind mit erhöhten Symptombelastungen verbunden. Für die Berufserfahrung und den Expositionsgrad konnten keine Zusammenhänge ermittelt werden.

Achte in Deiner Arbeit daher bitte besonders gut auf Dich. Wir können uns Deine sekundäre Belastungssituation per Diagnostik anschauen und ggf. einen Supervisionstermin vereinbaren.  

Bei Fragen zum Thema vereinbare einen Beratungs-Termin. 
https://calendly.com/ella-gabriele-amann/beratungsgespraech

 

Entwicklungs- und Bindungstrauma

Klienten haben in Ihrer Kindheit (bis zum 18. Lebensjahr) eine Gefährdung ihres Kindeswohls und eine oft chronische Überwältigung bzw. Dysregulation ihres Nervensystems erlebt.

Sind Eltern, aufgrund eigener gesundheitlicher, psychischer oder traumatischer Lebenserfahrungen nicht in der Lage Geborgenheit und eine gesunde wie sichere Bindung durch Co-Regulation herzustellen, sind Babys und Kinder, die auf die Co-Regulation ihres Nervensystems angewiesen sind, nicht in der Lage sich selbst zu regulieren.

Das Nervensystem des Kindes wittert Gefahr oder Lebensgefahr, kann sich selbst (noch) nicht regulieren und wechselt in eine, oft chronische sympathische Dauererregung oder in den dorsalen Shutdown, verbunden mit Dissoziation und Phänomenen der Erstarrung oder auch Abspaltung.

Die erklärt, warum Erwachsene sich häufig nicht auf „das eine traumatisierende Ereignis“ beziehen können, ganze Lebensphasen oder Erlebniskontexte in der Erinnerung fehlen und sie häufig nur diffuse oder keine Erinnerungen mehr besitzen, an alltäglich erlebte

  • körperliche, emotionale, seelische oder erzieherische Vernachlässigung
  • verschiedenen Formen des körperlichen, seelischen oder körperlichen Missbrauchs oder
  • das Erleben alltäglicher körperlicher oder psychischer Gewalt (an sich und/oder anderen Familienmitgliedern) oder
  • das Aussetzen in einer gefährlichen Umgebung oder das Unterlassen von Beaufsichtigung

In der professionellen Abklärung von Entwicklungs- und Bindungstraumata wird ein spezieller Fragebogen eingesetzt (ACE-Fragebogen für Adverse Childhood Experience), in denen negative Kindheitserfahrungen vor dem 18. Lebensjahr abgefragt werden.

Ein Bindungstrauma resultiert aus dem Bruch einer frühen Bindungsbeziehung. Menschen kommen als Zweibeiner auf die Welt, die aus Anatomischen Gründen frühzeitig und aus der Perspektive der Hirnreifung als „Frühchen“ auf die Welt kommen (Michaela Huber).

Der Nesthocker Mensch ist daher insbesondere auf die Co-Regulation des Nervensystems angewiesen und auf eine lange Phase der Neurophysiologischen, psychischen, emotionalen und intellektuellen Reifung.

Ebenfalls relevant sind Traumafolgen, die auf Beziehungsstörungen beruhen, diese können bereits in der Kindheit – wie auch im Erwachsenenalter) durch uneindeutige Verluste verursacht werden (siehe Pauline Boss und der uneindeutige Verlust).

Bei der Arbeit mit Entwicklungs- und Bindungstrauma helfen insbesondere: 

  • Trauma-Therapie mit Spezialisierung auf Entwicklungs- und Bindungstrauma
  • Körperorientierte Trauma-Therapie (Somatic Experiencing SE oder PESSO-Therapie)

 

Kollektive Traumatisierung

Im Kontext von Corona und dem Krieg in der Ukraine rückt auch die Kategorie der Kollektiven Traumatisierung stärker in den Vordergrund. Eine Kollektive Traumatisierung liegt vor, wenn eine größere Gruppe von Menschen von einem überwältigenden Ereignis betroffen ist.

Das Zusammenleben ist gekennzeichnet von Spaltung, Entfremdung, Wut, der Zunahme an Gewalt, Verzweiflung, Angst, Einsamkeit aber auch einer gegenseitigen, starken Solidarität (Hintinger, 2021)

Dies Gruppe von Menschen ist geographisch oder aufgrund ihrer historischen Identität dem gleichen verursachenden Auslöser ausgesetzt, z.B.

  • Naturkatastrophen (Erdbeben, Tsunami, Brände, Überflutungen)
  • Technisch verursachte Unfälle (Hiroshima)
  • Terroranschläge
  • Pandemie
  • Krieg

Auch wenn eine ganze Gruppe von der Trauma-Ursache betroffen ist, es bleibt immer der Einzelne, mit der in ihm ausgelösten Stressreaktion, die die Traumafolgen abbildet. Im Sprachgebrauch bilden sich eindeutige Bezeichnungen: Kriegskinder, Trümmerfrauen, Holocaust-Überlebende, Vietnam-Veteranen, Wendeopfer (Hintinger, 2021)

Bei der Arbeit mit einem kollektiven Trauma helfen insbesondere: 

  • Sachliche Informationen, Offenheit und objektive Aufklärung über aktuelle oder historische Ereignisse
  • Das gemeinsame Gespräch Betroffener und gruppentherapeutische Settings
  • Die Aufarbeitung über künstlerische Arbeit und gestalttherapeutische Ansätze

Im dritten Teil unserer Reihe gebe ich Dir einen Überblick über unser Trauma-informed Facilitation Modell und die acht Aspekte der trauma-sensiblen arbeit in der Resilienzförderung.

Quellen und Vertiefungsempfehlung zur Polyvagal-Theorie, inklusive Übungen für die Praxis:

Aus den Zahlreichen Publikationen, die in den letzten Jahren zum Themenkomplex „Trauma, Polyvagal-Theorie und Vagus-Training“ erschienen sind, empfehle ich Dir:

  • Sandra Hintinger, Der Vagusnerv, Unser innerer Therapeut, Irisiana, 2021
  • Ellen Fischer, Das Vagus Training, GU 2021

Vertiefungen zum Thema bieten wir Dir auch im Rahmen unserer systemsich-integrativen und trauma-informed Ausbildung zum RZT® Resilienz-Facilitator nach dem Bambus-Prinzip®.

Ella Gabriele Amann

Ella Gabriele Amann

Ich beschäftige mich seit über 20 Jahren intensiv mit dem Thema Trauma und Traumafolgen, insbesondere im Kontext der individuellen und organisationalen Resilienzförderung.

In meiner Resilienz-Praxis arbeite ich als Familien-, Körper- und Trauma-Therapeutin, bin unter anderem langjährig am Polarity Institut in der Schweiz in Somatic Experiencing (SE) ausgebildet und durfte die bahnbrechende Arbeit von Peter Levin und Stephen Porges persönlich kennenlernen.

Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt zum Thema Trauma & Resilienz liegt in meiner Aufklärungsarbeit zum Uneindeutigen Verlust, der auf über 30 Jahren Forschungsarbeit von Pauline Boss beruht. Mit diesem Ansatz unterstütze ich vor allem Führungskräfte im Kontext der Organisationalen Resilienzförderung, insbesondere, wenn es um die trauma-sensitive Begleitung von Transformations- und Change-Prozesse geht.

Seit Beginn der 2010er Jahre liegt mein Arbeitsschwerpunkt zudem in der Resilienz Aus- und Weiterbildung von Multiplikator:innen. In die Ausbildung integriert ist die Vermittlung von acht trauma-informed Prinzipien, die ich im Rahmen meiner Stiftungsarbeit für unsere Applied Resilience Facilitator und Applied Improv Facilitator Ausbildung entwickelt habe.

Welche Erfahrungen hast Du mit dem Thema Trauma gemacht?

Ich freue mich über Dein Feedback und wünsche Dir einen schönen Start in Dein tägliches Resilienz-Training!
Deine Ella Gabriele Amann

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