Stellungsnahme zur Kritik an der Polyvagal-Theorie
Paradigmenwechsel in der Neurophysiologie
Die wissenschaftliche Diskussion rund um die Polyvagal-Theorie von Stephen Porges hat in den letzten Jahren an Intensität gewonnen, und ich schätze den Dialog über diese komplexe Thematik sehr. In meiner jüngsten Korrespondenz zu meinem Buch „Micro-Inputs Resilienz“ wurde die Polyvagal-Theorie von Stephen Porges angesprochen, die in der wissenschaftlichen Gemeinschaft auch kontrovers diskutiert wird. Dies nehme ich als Anlass, um Stellung zu nehmen und aktuelle Entwicklungen transparent zu machen.
Die Polyvagal-Theorie stellt einen bedeutenden Paradigmenwechsel in der Neurophysiologie dar und hat seit ihrer Einführung viele Diskussionen angestoßen. Während einige kritische Stimmen die Theorie sogar als „weitgehend widerlegt betrachten“, basiert ein wesentlicher Teil der wissenschaftlichen Auseinandersetzung tatsächlich auf einer fortlaufenden Diskussion, die sich mit den Feinheiten und Weiterentwicklungen der Theorie befasst. Diese Auseinandersetzungen spiegeln wider, wie dynamisch und sich entwickelnd die Grundlagenforschung ist.
Kontinuierliche Beobachtung und Integration neuer Forschungsergebnisse
Meine Entwicklungsarbeiten, wie auch meine Publikationen, die sich seit über 10 Jahren mit der Anwendung der Polyvagal-Theorie in der Resilienzförderung beschäftigen, stützt sich auf Erkenntnisse, die heute, wie auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung weltweit anerkannt und sich in der Praxis bewährt haben. Die Polyvagal-Theorie hat sich im systemisch-integrativen Resilienz-Zirkel-Training nach dem Bambus-Prinzip® als ein wertvoller Ansatz erwiesen. Wir erhalten im Rahmen der Angewandten Resilienzförderung immer wieder positive und dankbare Rückmeldungen von Praktikern aus Resilienz-Beratung, -Training, -Coaching und -Therpie, die ihre Arbeitsergebnisse durch die Arbeit mit der Polyvagal-Theorie erheblich verbessern konnten.
Das Aufkommen einzelner und abgrenzbarer Kritikpunkte, die sich im wesentlichen auf neuroanatomische Fragen beziehen und nicht auf die Grundaussagen der Theorie, bedeutet nicht, dass die Polyvagal-Theorie „in wissenschaftlichen Kreisen als wiederlegt“ betrachtet wird. Solche Aussagen sind schlicht nicht belegt, unseriös und schüren Verunsicherung in der Auseinandersetzung mit einer Forschungsarbeit, die zu einem großen Paragdigmenwechsel in Beratung, Therapie – bis hin zur Personalentwicklung führt. Neue Wege zu beschreiten heißt immer auch mit Gegenwind rechnen zu müssen. Hierzu verweise ich auf die umfangreiche Darstellung und den Stand der wissenschaftlichen Diskussion zur punktuellen Kritik der Polyvagal-Akademie.
Grundlagenforschung benötigt Zeit
Ich nehme wissenschaftliche Kritiken ernst und bleibe offen für neue Erkenntnisse. Die kontinuierliche Beobachtung und Integration neuer Forschungsergebnisse ist Teil meines beruflichen Ansatzes. Die aktuelle Diskussion um die Polyvagal-Theorie wird in der bevorstehenden Neuauflage meiner Publikationen berücksichtigt und ich werde auf relevante Ressourcen verweisen, um ein umfassenderes Bild der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion zu bieten.
Machen Sie sich selbst ein Bild von der aktuellen Diskussion
Ich lade Sie ein, sich mit den aktuellen Debatten auseinanderzusetzen und auf die verlinkte Stellungnahme zur Polyvagal-Theorie zuzugreifen, um ein ausgewogenes Verständnis der Thematik zu erhalten.
https://polyvagal-akademie.com/kritik
Vielen Dank für Ihr Engagement und Ihr Verständnis.
Mit herzlichen Grüßen,
Ella Gabriele Amann
Die Reise der Polyvagal-Theorie: Meine persönliche Perspektive
Grundlagenforschung braucht ihre Zeit
Die wissenschaftliche Welt ist oft eine Bühne für hitzige Debatten. Ähnlich wie bei der Kritik an den Power-Posen von Amy Cuddy, sehen wir auch bei der Polyvagal-Theorie eine sich entspannende, aber nicht minder kontroverse Diskussion. In Deutschland hat es Jahrzehnte gedauert, bis die Polyvagal-Theorie ihre Beachtung fand und ihre Anwendung in der Resilienzförderung erkannte Relevanz erlangte. Heute wird die Theorie manchmal als „wissenschaftlich widerlegt“ angesehen, weil neuere Forschungen andere Ansichten vertreten. Dies zeigt jedoch auch, dass die Theorie nun ernst genommen wird, was ein gutes Zeichen ist.
Die Kritik an der Polyvagal-Theorie stützt sich überwiegend die Veröffentlichungen eines einzelnen Wissenschaftlers, während die Theorie über 38 Jahre vom National Institute of Health unterstützt und in mehr als 10.000 Fachartikeln zitiert wurde. Diese Diskrepanz zeigt, wie wichtig es ist, beide Seiten der Diskussion zu betrachten, um ein umfassenderes Bild zu erhalten. Für detaillierte wissenschaftliche Diskussionen empfehle ich, sich auch die kritischen Stellungnahmen auf Plattformen wie der Polyvagal Akademie anzusehen.
Die Grundlagenforschung in der Resilienzförderung ist noch in ihren Kinderschuhen. Einen Überblick über die aktuelle Forschung bieten unter anderem Donya Gilan und Isabella Helmreich in ihrem Buch „Resilienz – die Kunst der Widerstandskraft“. Es zeigt sich, dass das Verständnis und die Akzeptanz neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse Zeit benötigen, wie es auch bei der Angewandten Improvisation der Fall war, deren wissenschaftliche Basis erst nach vielen Jahren an Anerkennung gewann.
Paradigmenwechsel in der Praxis
In der Praxis sehen wir oft, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu radikalen Veränderungen führen. Als Praktikerin erlebe ich dieses Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis immer wieder. Die Forschung kann lange brauchen, um sich durchzusetzen, und oft müssen wir als Praktiker uns auf neue Erkenntnisse einlassen, um unsere Methoden zu verbessern. Die Entwicklungen in der Neurobiologie und Embodiment-Forschung sind gute Beispiele für solche Paradigmenwechsel.
Nach 30 Jahren als Praktikerin habe ich zahlreiche solcher Erkenntniswellen erlebt. Mein Gebiet ist die Angewandte Resilienzforschung, wo ich die aktuellen Forschungsergebnisse auf ihre Relevanz für bestehende Methoden überprüfe und diese entsprechend anpasse. Die Rückmeldungen meiner Klienten – „Geht so besser. Geht weniger gut. Merke keinen Unterschied.“ – zeigen die Herausforderungen und Chancen, die solche Paradigmenwechsel mit sich bringen.
Die Herausforderung liegt oft darin, dass die Akzeptanz neuer Theorien und Methoden oft Jahrzehnte dauert, insbesondere wenn sie etablierte Ansätze in Frage stellen. Wir müssen die wissenschaftlichen Diskussionen weiterhin aufmerksam verfolgen und uns den Veränderungen anpassen, auch wenn die Praxis oft schneller geht als die Theorie.
Persönliche Erfahrungen mit der Polyvagal-Theorie
Meine persönliche Reise mit der Polyvagal-Theorie begann vor über 15 Jahren. In dieser Zeit habe ich oft erlebt, dass übliche therapeutische Methoden zu Retraumatisierungen führen konnten. Diese Erfahrungen führten zu der Erkenntnis, dass eine neue Herangehensweise erforderlich war, um die Sicherheit und Wirksamkeit von Interventionen zu verbessern.
Ein Wendepunkt war eine Erfahrung in einer Ausbildungssituation, als ich zum ersten Mal eine alternative Herangehensweise sah, die auf den Prinzipien der Polyvagal-Theorie basierte. Die Reaktion der Ausbilderin auf eine traumatische Situation war völlig neu für mich und zeigte mir eine effektivere Methode zur Beruhigung von Teilnehmer:innen, die schnell und angemessen wirkte.
Seitdem habe ich mich intensiv mit Somatic Experiencing und der Polyvagal-Theorie beschäftigt und diese Ansätze in meine Arbeit integriert. Meine Ausbildungen und die Entwicklung meiner Methoden basieren nun auf einem polyvagal- und trauma-informed Ansatz, der sich als äußerst effektiv erwiesen hat. Die positiven Rückmeldungen aus der Praxis bestätigen die Wirksamkeit dieser Ansätze und zeigen, wie sie das Leben vieler Menschen zum Positiven verändert haben.
Mein Fazit:
Die Diskussion über die Polyvagal-Theorie zeigt die Komplexität und die fortwährende Entwicklung in der wissenschaftlichen und praktischen Welt. Die Theorie hat sich als wertvoll erwiesen, insbesondere in der praktischen Anwendung der Resilienzförderung. Trotz der anhaltenden wissenschaftlichen Debatten bleibt es wichtig, die Theorie kritisch und offen zu betrachten und die Erfahrungen aus der Praxis einzubeziehen.
Die Arbeit von Stephen Porges und die Weiterentwicklungen im Bereich der Trauma-Therapie haben bedeutende Fortschritte in der therapeutischen Praxis ermöglicht. Auch wenn sich die wissenschaftlichen Details weiterentwickeln, bleibt die Anwendung und das Verständnis der Theorie ein wertvoller Beitrag zur Verbesserung der Resilienz und therapeutischer Methoden.
Ich hoffe, dass dieser Beitrag Ihnen hilft, ein tieferes Verständnis für die Entwicklungen und Herausforderungen in der wissenschaftlichen und praktischen Anwendung der Polyvagal-Theorie zu gewinnen.
Ausbildungsleitung
Ella Gabriele Amann
Anfang der 90er Jahre habe ich damit begonnen Methoden für die integrative Resilienz- und Gesundheitsförderung zu entwickeln. Als Pionierin im deutschsprachigen Raum, habe ich interaktive Ansätze aus dem Embodiment und aus der Angewandten Improvisation in meine Arbeit integriert. Als systemisch ausgebildete Familien- und Trauma-Therapeutin achte ich zudem auf die Umsetzung von trauma-informed-Prinzipien in der individuellen und familien-systemischen bzw. organisationalen Resilienzförderung.
Als Resilienz und Applied Improv FacilitatorIn begleitet ich Organisationen, Führungskräfte und MultiplikatorInnen mit großer Leidenschaft beim Transformationsprozess in die neue Arbeitswelt. Ich bin ausdauernd, geduldig und zuversichlich. Und so sehe ich in der Angewandten Resilienzförderung – auch als Initiatorin und Geschäftsführerin der Stiftung ResilienzForum – einen gesamt-gesellschaftlichen Entwicklungsauftrag, dem ich seit 30 Jahren mit wachsender Freude nachkomme.
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Deine Ella Gabriele Amann