Resilienz auf dem Prüfstand. Wollen Unternehmen wirklich starke Mitarbeiter?

| Beitrag von Ella Gabriele Amann und Ulrike Clasen

In vielen Unternehmen wird Resilienzförderung heute bereits als Wettbewerbsvorteil angesehen. Doch was geschieht, wenn Mitarbeiter lernen, rechtzeitig Grenzen zu setzen und ihre Leistungskraft besser einzuschätzen?

Der Umfang der Arbeit wächst und wer nicht Schritt halten kann, muss um seinen Job fürchten. In der Folge ist zu beobachten, dass Menschen körperliche, aber vor allem mentale Belastungsgrenzen erreichen und psychische Belastungsstörungen, etwa in Form von Stress- und Burn-out-Syndromen, zunehmen.

Hans M. ist seit vielen Jahren erfolgreicher Teamleiter in einem internationalen HR-Unternehmen. Es begann mit den typischen Symptomen: Mit psychischer Erschöpfung und Niedergeschlagenheit, Ängsten, Müdigkeit und Anspannung. Das ging nach einiger Zeit über in Schlafstörungen bis zum Gefühl der inneren Leere, sozialem Rückzug, verbunden mit grossem Selbstzweifel und Motivationsverlust, sowie einer lähmenden Entscheidungsunfähigkeit. Ein Verhalten, das der sonst aktive, interessierte und sehr engagierte Mitarbeiter von sich überhaupt nicht kannte. Die Diagnose Burnout-Gefährdung erschreckte ihn und rüttelte ihn gleichzeitig auch wach.

Jeder Mensch erlebt Stress sehr individuell. Manche Führungskräfte und Mitarbeiter blühen förmlich auf, sind von den neuen Möglichkeiten begeistert, zeigen eine hohe Flexibilität und haben es geschafft, sich nach und nach umzustellen und an die neuen Bedingungen anzupassen. Diese gelungene Anpassung, die sich bei vielen Mitarbeitern ganz natürlich einstellt, nennt man auch Resilienz. Im Volksmund auch bekannt als „Die Kunst der Stehaufmännchens“.

Maßnahmen zur Resilienzförderung gibt es nicht im Express-Modus oder von der Stange. Der Aufbau von Resilienz und innerer Stärke ist für Mitarbeiter wie Organisationen immer mit einem sehr persönlichen und kontinuierlichen Wachstumsprozess verbunden.

Resilienz ist weit mehr als nur ein mechanistischer Vorgang, bei dem man, nach einer Phase der Belastung, wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückkehrt. Mit dem Aufbau oder der Stärkung von Resilienz sind persönliche Lern- und Wachstumsprozesse verbunden. So geht die Anpassung an neue Verhältnisse meist nicht nur einher mit der Entwicklung neuer Verhaltensstrategien, sondern auch mit der Veränderung von inneren Haltungen und Einstellungen.

Nach einer krankheitsbedingten Abwesenheit, die für Hans M. erst einmal Rückzug und Ruhe brachte, war der Wunsch des Betroffenen, dass er sich langsam und mit Bedacht wieder in seine Arbeitswelt einfinden wollte. Er hatte bewusst ein Resilienz-Coaching gewählt, um seine „alten“ Strategien des Umgangs mit den Arbeitsanforderungen zu reflektieren und sich dann ebenso bewusst für neue Strategien zu entscheiden. Zum Glück wurde diese Vorgehensweise im Unternehmen mit unterstützt und der klare Hinweis war, dass ein Totalausfall wegen Burnout für diesen Mitarbeitenden und für das Team einen zu großen Einschnitt bedeuten würde, den man so nicht haben wollte.

Sind die Unternehmen bereit für einen Kulturwandel?

Unternehmen wünschen sich heute gesunde und resiliente Mitarbeiter. Doch nur wenige sind sich darüber bewusst, dass damit auch sie selbst vor neue Herausforderungen gestellt werden. Denn gesunde und psychisch wieder gestärkte Mitarbeiter haben gelernt, rechtzeitig Grenzen zu setzen und ihre Leistungskraft besser einzuschätzen. Sie sind weniger bereit, sich von unrealistischen Zielvorgaben unter Druck setzen zu lassen und können alte, dysfunktionale Handlungsmuster, Gewohnheiten und Routinen leichter hinterfragen. Sie können ihre persönlichen Bedürfnisse besser erkennen und eigene Erwartungshaltungen deutlicher formulieren. Alte Leitbilder und Durchhalteparolen wie „Da müssen wir jetzt durch!“ und „Nicht gemeckert ist genug gelobt!“ werden nach und nach durch eine neue Haltung von Achtsamkeit und von einem Selbstverständnis gegenseitiger Wertschätzung abgelöst.

Gesunde und resiliente Mitarbeiter entwickeln damit auch eine höhere Erwartung an das Management und an eine gesunde Führungskultur, die nicht nur als Absichtserklärung auf dem Strategie-Papier oder im Leitbild steht, sondern authentisch vorgelebt wird. Werte wie Gesundheit, Work-Life-Balance und innere Zufriedenheit lösen langsam aber sicher alte Anreizsysteme ab, die auf einem „Immer höher, besser, schneller und weiter!“ basieren.

Human Resources und Management sind gefordert, einen echten Kulturwandel einzuleiten. Denn gesunde und resiliente Mitarbeiter zeigen sich flexibel und sind nach unserer Erfahrung immer öfter bereit, in ein Unternehmen zu wechseln, welches den Trend der Zeit verstanden hat. Die Generation Y und Z machen es bereits vor. Und viele Hochleistungsträger älteren und mittleren Jahrgangs folgen, wenn auch manchmal erst nach einem oder sogar mehreren Zusammenbrüchen.

So werden Mitarbeiter, die z.B. wegen eines Burn-out über einige Monate in einer Klinik behandelt werden, in ihrer Resilienz wieder gestärkt und mit einer neuen Einstellung und Haltung an Ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Die innere Stimme klingt dann so:

  • „Ich mache mich nicht mehr so verrückt wie früher!“
  • „Ich habe gelernt auch einmal fünfe gerade sein zu lassen!“
  • „Ich sorge heute besser für mich und habe verstanden, dass das nichts mit Egoismus zu tun hat, sondern dass es dem ganzen Team bessergeht, wenn ich gut für mich sorge!“

Selbstbestimmung, Achtsamkeit und Selbstwahrnehmung

Tipps und Tricks, um aus der Burnout-Falle heraus zu kommen, oder erst gar nicht reinzufallen, gibt es mittlerweile unendlich viele. Aber braucht es Tricks, um sich selbst zu überlisten, um weiter fit und leistungsfähig zu bleiben?  Der Praxisfall eines Teamleiters im internationalen HR zeigt, dass es eher Bewusstheit und Achtsamkeit mit sich selbst braucht.

Die Betrachtung der Faktoren, die resilientes Verhalten fördern, hatte dann für den Teamleiter sehr viele „Aha-Erlebnisse“ und tiefgreifende Erkenntnisse gebracht: „Wie gelingt es ihm, eine realistische und optimistische Haltung zu entwickeln und ist er bereit zu akzeptieren, wenn sich die Gegebenheiten nicht ändern lassen? Ist er eher im Lösungsmodus bei auftretenden Problemen und hat er im Sinne von Selbstfürsorge und Selbstregulation genügend Gestaltungskraft? Wie definiert und erlebt er Selbstverantwortung und auf welche Weise gestaltet er Beziehungen, die ihm auch in schwierigen Situationen Unterstützung geben können?“ Die weiteren Fragen betrafen die Zukunftsgestaltung und Freude am Neuen und damit die Lernbereitschaft und die Möglichkeit, in neuen Situationen auch angstfrei zu improvisieren.

Was hier vielleicht einfach klingt, bedeutete wirkliche Arbeit und ein intensives Auseinandersetzen mit sich selbst. Unterstützen lässt sich diese Coaching-Arbeit noch mit einem Resilienz-Profil, das ein ganzheitliches Bild der persönlichen Stärken, Talente und Begabungen, sowie möglichen Entwicklungsfeldern zeigte.

Die passgenauen Maßnahmen zur Entwicklung der eigene Resilienz überzeugten den Teamleiter. Er beschreibt sich nun als HR-Verantwortlichen, der achtsam und reflektiert mit seinen Aufgaben und den Menschen umgeht. Die Symptome des vermeintlichen Burnouts sind in weite Ferne gerückt und er ist der Überzeugung, wieder gesund zu sein und aktiv seine Aufgaben bewältigen zu können.

Wen wundert es, dass Maßnahmen zur Resilienzförderung im Unternehmen oft erst dann von HR und Führung unterstützt werden, wenn es Betroffene in den eigenen Reihen gegeben hat, die persönlich erfahren und  erkannt haben, das Resilienzförderung mehr ist als Gesundheitsförderung.

Nur starke Mitarbeitende können ein starkes Unternehmen hervorbringen. Oder anders gesagt: Resiliente Mitarbeitende in resilienten Unternehmen sind stark. Resilienzförderung steht für Kulturbildung und für einen echten Wettbewerbsvorteil, der als Unternehmensstrategie erkannt, formuliert und in das Unternehmen Schritt für Schritt eingebracht werden kann.

Ulrike Clasen

Ulrike Clasen leitet das Netzwerk Kadertraining mit insgesamt 25 Experten aus dem Bereich Business Coaching und Personal- und Unternehmensentwicklung. Die Netzwerkpartner sind spezialisiert auf die Begleitung von Menschen in Veränderungsprozessen.

www.netzwerkkadertraining.ch

Ella Gabriele Amann

Ella Gabriele Amann berät Unternehmen zu den Themen Resilienz, agiles Selbstmanagement, Organisations- und Personalentwicklung mit SIZE Prozess® Resilienz. Sie ist Entwicklerin des integrativen Resilienz-Zirkel-Trainings (RZT®) nach dem Bambus-Prinzip® und leitet in Berlin das ResilienzForum.

www.gabriele-amann.de

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Beitrag von Gabriele Amann und Ulrike Clasen,  Erschienen in procure.ch – Beschaffungsmanagement  02/2016